Publikumsaktivierung im Dialog
Hunderttausende Kinder und Jugendliche besuchen jedes Jahr zum ersten Mal ein Museum besuchen. Millionen Erwachsene werden sich fragen, ob sie mal wieder ein Museum besuchen sollten. Laut dem Institut für Museumsforschung in Berlin brachen die Besuchszahlen in deutschen Museen während der Corona-Pandemie um 70% auf 33,6 Millionen Besucher:innen ein. Werden sie sich 2022 wieder in Richtung der bisherigen ca. 111 Millionen Besucher:innen erholen? Das kann, muss aber nicht sein – schließlich hatte das Publikum zwei Jahre Zeit, Gewohnheiten zu ändern und neue Freizeitbeschäftigungen zu entwickeln.
So stellt sich für die Kunst- und Kulturvermittlung stets aufs Neue die Frage:
Wie können sich Museen und Theater attraktiv machen für ein breiteres und teilweise vollkommen neues Publikum?
Bildende Kunst und Kultur gelten häufig als schwer verständlich oder einfach nur langweilig – ganz sicher außerhalb der bildungsbürgerlichen “Blase“, aber auch generell bei der jungen Generation. Die Kunstwerke erscheinen als zu komplex oder unverständlich (“zeitgenössische Kunst”, Technik) oder langweilig (“klassische” Kunst, Geschichtskultur). Obendrein wird die Vermittlung als zu schulisch erlebt.
Dies schreckt viele potentiellen BesucherInnen von einem Besuch im Museum ab. Diese wünschen sich in ihrer Freizeit vor allem aktivierende oder unterhaltende Formate, wie unsere große Besucherstudie am Zentrum Paul Klee in Bern im Jahr 2020 gezeigt hat. Gerade in den Zeiten sozialer Medien werden nur die Museen wieder erfolgreich werden oder bleiben, welche den Museumsbesuch zu einem positiven Erlebnis machen.
Muss sich deshalb das Museum anbiedern, die kuratorischen Ansprüche an Ausstellungen “runterfahren” und „leicht konsumierbare Unterhaltung“ anbieten sowie eine Hüpfburg in den Vorhof stellen?
Nein, das ist nicht nötig! Es bedarf allerdings eines ergänzenden Zuganges innerhalb der Kommunikation in der Vermittlung zu Kunst und Kultur durch eine dialogischen Kunstvermittlung. Dabei werden die Ansichten und Wahrnehmungen der Besucher:innen ernst und interessiert aufgenommen und die Kunstentschlüsselung wird zu einem gemeinsamen Unterfangen.
Die Dialogische Kunstvermittlung basiert auf der Methode des Sokratischen Fragens. Dabei beziehen sich die miteinander Sprechenden auf die jeweiligen Aussagen, befragen diese weiter und helfen dem Fragenden dabei, eigene Erkenntnisse zu generieren anstatt permanent nur zu reagieren und zu antworten.
Dialog regt das eigene DENKEN an. Besucher und die Besucherin fühlen sich selbst ermächtigt, eigene Wahrnehmungen zu entwickeln. Sie lernen, selbst Fragen an das Werk zu stellen und dabei gemeinsam Kunst zu ergründen, ohne sich geprüft zu fühlen.
Bei der gesamten Vermittlungseinheit stehen die Besucher und die Besucherinnen mit ihren Wahrnehmungen und ihrem Denken, ihren ästhetischen Empfindungen sowie mit ihren persönlichen Zu- oder Abneigung zum Werk im Vordergrund! Allein diese Auseinandersetzung ist sowohl für die Besucherinnen und die Besucher als auch für die Vermittlerin und den Vermittler eine spannende Erfahrung, denn alle Beteiligten sind hierbei Lernende. Keine/r der Beteiligten steht mit seinem Wissen vor oder über den anderen Personen.
Vermittler/innen stehen dabei den Betrachtenden zur Seite. Das Kunstwerk wird gemeinsam be- und hinterfragt. Die dialogische Entschlüsselung des Kunstwerkes steht gleichwertig zur kunsthistorischen oder ikonografischen Interpretation des Werkes und führt zu einem massiv gesteigerten Interesse an den Kunstwerken. Diese positiven Erlebnisse werden mit Freunden und Verwandten geteilt – persönlich oder über Social Media – die beste Werbung für Ihr Haus!
Wir freuen uns Sie beratend bei der Weiterentwicklung Ihrer Vermittlungskonzepte begleiten zu dürfen und Ihr Personal auf die Besucher/innen der Zukunft vorzubereiten.
Rufen sie uns unter +49 157 850 71115 an, sprechen Sie mit uns über Ihre musealen Bedürfnisse
Für die Schulung Ihres Vermittlungspersonals bieten wir maßgeschneiderte INHOUSE Schulungen an, in denen die Kunstvermittler/innen in Gruppen oder im Einzelcoaching entsprechende Vermittlungsmethoden lernen, mit denen sie heterogene Gruppe aktivieren können.
Aktuelles Beratungsprojekt
Strategietransfer Kunstvermittlung für die Dachstiftung Kunstmuseum Bern Zentrum Paul Klee Bern in der Schweiz.
Hier geht es zum Blogbeitrag über das Projekt
Wir denken in unserer Arbeit vom Besucher aus.
Typische Beratungsthemen sind dabei:
- Wie machen wir unser Museum / unser Haus attraktiver für Besucher/innen?
- Wie können wir neue Zielgruppen gewinnen?
- Wie erhöhen wir die Weiterempfehlungsrate durch die Besucher/innen?
- Wie können wir Social Media einsetzen, um neue Zielgruppen zu gewinnen?
BETRACHTER AN DER IDEE DES KUNSTWERKES TEILNEHMEN LASSEN.
„Museen geben oft aufwändige Erklärungen, um sicher zu gehen, dass die Besucher alles verstehen, aber dadurch kommt man sich manchmal richtig doof vor, weil einem alles über verdeutlich werden muss.Wenn ich dem Betrachter eins Kunstwerks genug Intelligenz unterstelle, an der Aussage mitzuwirken, fühlen sie sich auch selbst intelligent genug.“ Olafur Eliasson, 2020
Partizipatorische Kulturvermittlung – für ein sich zurückziehendes Publikum ?
Derzeit macht sich das Bedürfnis nach mehr Teilhabe und Partizipation seitens der Institutionen, aber auch seitens der Besucher*innen bemerkbar. Museen sind nicht mehr nur noch reine Wissens- oder Lernorte, sondern werden als Begegnungs- und Unterhaltungsorte betrachtet. In der Theorie ist dem zuzustimmen. Symposien und wissenschaftliche Tagungen zum Thema Kulturvermittlung finden jährlich statt3, wobei diese nicht mehr nur theoretische Ballungsräume sein sollen, sondern vor allem Praxisbezüge herstellen sollen. Künstlerische Ansätze überschneiden sich dabei mit pädagogischen Angeboten, ebenso werden Workshopformate entwickelt. Jedoch ist die Umsetzung in den einzelnen Häusern nach wie vor schwierig.
Auf Seiten der Besucher*innen zeigen sich Hindernisse, da ihre Erwartungshaltung von ihren bisherigen (schulischen) Erfahrungen geprägt ist: der Museumsbesuch ist frontal aufgebaut und es besteht ein starkes Wissens- und Machtgefälle zwischen Vermittler*in und Betrachter*in. Besucher* innen denken von sich selbst, dass sie häufig nichts zum Museumsbesuch beizutragen haben. Insbesondere ältere Museumsbesucher*innen sind noch sehr unvertraut mit neuen Vermittlungsformaten, weshalb es ihnen schwerfällt, sich für diese zu öffnen. Im Lern-/Vermittlungskontext wurde bisweilen noch nicht kultiviert, dass die Betrachter*innen eine Meinung haben „dürfen“, ihre Wahrnehmungen und Assoziationen (auch für die Vermittlung) ernst zu nehmen und sogar wertvoll für die gemeinsame Betrachtung und Erschließung sind. Die erwachsenen Besucher*innen erwarten – trotz einer gewissen Unzufriedenheit mit expositorischen Vermittlungskonzepten – keine dialogische Kunstvermittlung. Stattdessen macht es ihnen zunächst sogar Angst, weil sie aus der Schule keinen Dialog kennen, sondern nur Prüfungen und Abfragen. Deshalb fordern sie den Dialog von sich aus nicht ein, selbst wenn sie mehr Partizipation als erstrebenswert ansehen.
Für die Vermittlung ergeben sich daraus ebenfalls Hürden: So sind Vermittler* innen bei dialogischen Formaten häufig mit schweigenden Besucher* innen-Gruppen konfrontiert, die sich mit Partizipation schwertun. Sie müssen also pädagogisch geschult sein, um zunächst eine weitgehend hierarchiefreie und demokratische Atmosphäre zu schaffen.4 Zum anderen herrscht in den Köpfen einiger traditionell orientierter Vermittler* innen die Meinung vor, dass die Besucher*innen wenig beizutragen haben und banale Eindrücke der Wissensvermittlung eher im Weg stünden. Allerdings nehmen beispielsweise Besucher*innen aus sogenannten bildungsfernen Schichten partizipatorische Kulturvermittlungsangebote besser an, wenn diese wirklich auf die Bedürfnisse, Interessen und Ablehnungen dieser Zielgruppe eingehen. Mit Hinblick auf die zukünftigen Ansprüche der Besucher*innen ist außerdem zu erkennen, dass Jugendliche primär unterhalten werden wollen, was aber mit dem klassischen Konzept einer Führung schwer vereinbar ist. Zu viel Vorwissen eines umfangreichen Allgemeinwissenkanons wird vorausgesetzt, was die aktive Beteiligung am Diskurs mit den Kulturvermittler*innen hemmt bzw. diese schier unmöglich macht.
Deutschland hinkt in Bezug auf neuere Vermittlungsformate im europäischen Vergleich hinterher, wobei das Rad hierbei nicht neu erfunden werden muss. Ein Blick in den angelsächsischen Raum zeigt, dass dort partizipatorische Vermittlungsformate normal sind – auch teilweise über das Marketing gesteuert. Sie haben eine Museumskultur entwickelt, in welcher die Besucher*innen eine Meinung haben dürfen und sollen. Damit einhergehend sind die Hierarchien in dortigen Museum flacher und die Weichen für eine leichtere Meinungsäußerung gestellt. Wenn Museen ihre Kulturvermittlung nicht anpassen, wird diese vermutlich bald ausgelagert und von marketingorientierten Agenturen übernommen, wie z.B. die Agentur Museum Hack aus den USA.